Der Clown frühstückt blutig –“Es – Willkommen in Derry“ beschert Stephen-King-Fans einen Horrorherbst

Die Ortstafel mit dem Gruß „Welcome to Derry“ zeigt einen bärtigen, weißen Holzfäller. Der heißt Paul Bunyan, soll in der Stadt Bangor in Stephen Kings Heimat-Bundesstaat Maine geboren sein (das Riesenbaby benötigte zur Ankunft der Legende nach fünf Störche) und soll mit seinen Fußtritten die Seen Minnesotas geschaffen haben.
Bangors echte 9-Meter-Bunyan-Statue hat King in seine (fiktive) Stadt Derry verlegt, wo sie 1962, dem Handlungsjahr der neuen HBO-Serie „Es – Willkommen in Derry“, gerade zusammengebaut wird. Damit hat die Stadt eigentlich schon ein ziemlich grausiges Monster.
Aber es gibt hier noch ein anderes, alle 27 Jahre mordbereit, und das erfährt in der Serie „Es – Willkommen in Derry“ (ab 27. Oktober bei Wow/Sky) als Erster der unglückliche 12-Jährige Matty Clements (Miles Ekhardt) abends beim Trampen, nachdem man ihn wegen Schwarzsehens aus dem Kino geworfen hat.
Das Monster „Es“ ist der Rachmaninow auf der Klaviatur der Ängste. „Es“ hat klingenscharfe Zahnreihen, „Es“ hat tausende Gesichter, „Es“ schlüpft in Kings Buch auch mal in die Bunyan-Figur, aber am liebsten kommt „Es“ in Gestalt des Clowns Pennywise. Alle 27 Jahre verschwinden auf rätselhafte Weise ungewöhnlich viele Kinder aus der Stadt.

Pennywise ist Stephen Kings wohl populärste Schöpfung, eine faszinierend doppelbödige Figur. Der Typus Clown ist zum einen der Zirkuskomiker, der Kinder zum Lachen bringt. Zugleich ist die Furcht vor der Maskerade der Clowns so verbreitet, dass es dafür sogar einen eigenen Angstbegriff gibt – die Coulrophobie. Einer Studie der University of South Wales unter dem Titel „Fear of Clowns“ (2023) zufolge, leiden fünf Prozent der Menschen darunter, in etwa so viele wie unter Höhenangst.
Es dauert eine Weile, bis Pennywise im Lieblingsoutfit angreift. Horror aber gibt es schon zuvor und reichlich, und mit einigen der jugendlichen Helden springen die Serienmacher so roh und blutig um, wie Hitchcock es in „Psycho“ (1960) mit seiner Scheinprotagonistin Marion Crane tat.
Die Halbwaise Lilly (Claire Stack) hört Mattys Stimme aus dem Abfluss und wird später auf brutalste Weise mit ihrem Vatertrauma konfrontiert. Wie „Es“ dann Ronnie, Rich und Will, die anderen Kinder, die mählich ein Team werden, mit deren Ängsten traktiert, bleibt in der Spoilerkiste. Nur soviel: es lohnt.
Hier ist auch der Real-Life-Horror der USA spürbar, der Rassismus, der wie Pennywise nie wirklich weg war, und in Trump-Zeiten stärker auflebt. Schwarze, die in Derry einziehen, bekommen „Blicke“ von den weißen Nachbarn. Der „Negro“ trägt Schuld an Niedergangsgefühlen, dem schwarzen Filmvorführer Hank will man das Verschwinden Mattys anlasten.
Charlotte Hanlon, schwarze Bürgerrechtlerin, droht einem rassistischen Polizisten
Und die schwarze Südstaaten-Bürgerrechtlerin Charlotte Hanlon (Taylour Paige) bekommt, als sie Hank aus dem Gefängnis von Derry holen will, einen hässlichen polizeilichen Einblick in die „White Supremacy“, die auch im Norden der USA vorherrscht. Unterhalb von Lynchen geht einiges.
Misogynie und Rassenhass quittiert sie dem Cop allerdings mit dem schönsten Monolog der Serie: „Mein Name ist nicht Lady, er ist Charlotte Hanlon. Der mag Ihnen nichts sagen, aber er wird es, wenn Sie den furchterregenden Scheiß erleben, den ich mit dem Telefon anstellen kann. Tatsache ist: Wenn Sie mich nicht sofort Hank Rogan sehen lassen, werden Ihnen morgen früh Martin Luther King, JFK, RFK und eine Menge anderer FKs im Nacken sitzen, und eine Busladung Freiheitskämpfer wird in ihren Straßen ,We shall overcome‘ singen.“
Nicht irritieren lassen: Buch und Filme/Serie weichen voneinander ab, was die Handlungszeit betrifft: In Stephen Kings Roman bekämpfen die Kinder Pennywise 1957/58 das erste Mal und gehen 1984/85 in die zweite Runde. In Andy Muschiettis beiden „Es“-Filmen (2017/19) waren es die Jahre 1989 und 2016. Muschiettis Prequel-Serie spielt daher, dem geänderten Rhythmus des Monsters folgend, 1962 - vier Jahre nach Kings Basisstory - und führt auch anderes Personal auf. Wobei manche Familiennamen vertraut klingen.

Hanlon etwa. Vater Leroy, hochdekorierter Soldat im Koreakrieg, bekommt einen Spezialauftrag. Politik und Militär haben die First-Nations-Legenden von einer unfassbar mächtigen Präsenz in der Gegend gehört, die, so die Idee, als Waffe eingesetzt, den Kalten Krieg beenden könnte. Hanlon soll dieses Etwas einfangen. Haben seine Vorgesetzten einen Clown gefrühstückt?
Schade ist diese Erweiterung des Pennywise’schen Wirkungskreises. War Pennywise, der auch eine Symbolfigur unbewältigter Vergangenheit ist, im Buch für Erwachsene kaum wahrnehmbar, ein nebelhafter Aggressionsverstärker, spielt das wieder von Bill Skarsgård gespielte Monster diesmal mit Menschen aller Lebensalter Fangen.
Die Serie will in ihren nächsten Staffeln zurück zu früheren Killerzyklen von Pennywise springen. Die zweite führt ins Jahr 1935, danach folgt 1908. Eine potenzielle Endlosserie.
Denn schließlich kam Es laut King und den First Nations der Serie Äonen vor dem Menschheitsbeginn zur Erde - aus „dem finstersten Winkel des Nachthimmels“.
„Es: Willkommen in Derry“, Serie, erste Staffel, acht Episoden, Stoffentwicklung: Andy und Barbara Muschietti, Jason Fuchs nach Motiven des Romans „Es“ von Stephen King; Showrunner: Jason Fuchs, Brad Caleb Kane, mit Bill Skarsgård, Taylour Paige, Claire Stack, Amanda Christine, Blake Cameron James, Jovan Adepo, Chris Chalk, James Remar, Arian S. Cartaya, Matilda Lawler, Madeleine Stowe, Kimberly Guerrero, BJ Harrison, Stephen Rider, Peter Outerbridge (ab 27. Oktober bei Wow & Sky Atlantic)
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